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Kapitel 1: Schatten im Unterholz

Oct 2

19 Min. Lesezeit

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chwer süßlich duftende Parfümschwaden hafteten an jedem Strauch und Baum, den sie auf ihrem Weg zur Provinzgrenze passiert hatten. Sie kamen nicht oft hierher, denn die Taverne, in der sie sonst ihre Freier empfingen, lag ein großzügiger Entfernung von den Siedlungen Nathums, abgeschieden nahe eines verwitterten Wanderpfades. Er wurde nur von denen genutzt, die wussten wonach sie suchten. Ein paar Stunden Spaß, Geselligkeit, manchmal auch einfach nur ein offenes Ohr. Sie waren eine Anlaufstelle für verschmähte Männer, versoffene Jäger, vereinsamte Witwer und verwöhnte Adelssöhne gleichermaßen. So unterschiedlich die Kundschaft in der Welt da draußen auch sein mochte, in der Spelunke zum Roten Raben waren sie alle gleich.

Mama Holzbein sorgte gut für ihre Damen. Nie hätte sie zugelassen, dass eine gegen ihren Willen zu etwas gezwungen würde. Und wenn ein Gast den Bogen im Rausch überspannte, wusste sie ihn ziemlich unsanft aus ihrem Etablissement zu werfen. Ab und zu gab es zwar Probleme mit Nathums Sittenwächtern, weil diese es nicht gern sahen, dass nahe der Landesgrenze ein Freudenhaus mit zwielichtigem Ruf existierte. Doch wussten die Stadtobrigkeiten auch, dass die Taverne mittellosen Frauen, die ansonsten als Bettlerinnen auf den Straßen herumlungerten, Unterschlupf, Arbeit und Verpflegung bot. Tiefer konnte eine Frau auch nicht mehr sinken.

In einem Land, in dem die Frauen das Szepter in der Hand hielten, war eine Prosituierte noch weniger wert als ein Mann. Aus diesem Grund galten die bürokratischen Inspektionen und nächtlichen Zimmerräumungen auch eher eine Formalität, die meist damit endete, dass die Dirnen den zehnten ihres Tagesverdienstes als Strafe an die Wächter abgeben mussten. Ein zu verschmerzender Tribut, verdienten die meisten von ihnen nun wirklich nicht schlecht. Die Alte hatte stets ein Auge darauf, dass der Gewinn, den sie in ihrem Anwesen erzielte, gerecht verteilt wurde. Seltene Gerechtigkeit für jemanden mit solch einer Profession. Den Roten Raben freiwillig zu verlassen, wäre darum keiner der Freudenmädchen in den Sinn gekommen. Heute aber zwang drei von ihnen das Gesuch eines neuen Kunden nach einem recht unüblichen 'Hausbesuch' dazu.

Die Grazien hätten sich nicht erinnern können, jemals so fein gekleidet gewesen zu sein. Ihre Gewänder waren von dem Fremden mitsamt seiner Einladung direkt in die Spelunke überbracht worden. Ein schmächtiger Bursche, seinen blonden Haaren und der hellen Haut nach zu urteilen ein Rayonaigh, hatte die Botschaft bei Mama Holzbein mit dem Auftrag abgegeben, nur die drei schönsten Frauen mit dunklem Teint und lockigem, schneeweißen Haar für seinen Herren auszusuchen. Offensichtlich ein kleiner Fetisch dieses Herrn Unbekannt, genauso, wie diese für einen Waldspaziergang gänzlich ungeeignete Aufmachung, die nur aus der exzentrischen Mode Rubinstadts stammen konnte.



Etwas unbehaglich stolzierten die Nyeda Schwestern ihrem Auftraggeber entgegen; in Schuhe gezwängt, die ihnen viel zu klein oder zu groß waren, und mit Korsetts um die Hüften geschnürt, deren Ausmaße vielleicht auf ein halbwüchsiges Fräulein, ganz sicher aber nicht auf drei ausgewachsene Damen mit natürlichen Rundungen zugeschnitten schienen.

»Herrje, diese Galoschen muss doch ein Schuster im Vollsuff gemacht haben,« beklagte sich Nyande. »Wie soll man denn mit solchen Absätzen laufen können?«

Diese Drachenweiber hatten wirklich einen komischen Geschmack.

»Zieh sie aus und geh barfuß, wenn sie dir nicht passen, aber hör auf, hier rumzumaulen.«

Namya hielt das Wehklagen, das ihr schon seit Verlassen der Taverne im Nacken saß, langsam nicht mehr aus, schon allein deswegen nicht, weil sie mit dem 'Luftabschnürer' in ihrem Brustkorbbereich bereits genug zu kämpfen hatte. Immer wieder wechselte ihre Haltung von einem Katzenbuckel zu einem Hohlkreuz, um der beklemmenden Enge ihres Mieders entgegenzuwirken.

»Was ist mit denen im Norden bloß los, dass sie sich sowas freiwillig antun?«

Sicher, auch im Süden gab es Hüftstützen, vornehmes Schuhwerk und dergleichen. Allerdings waren deren Schnitte bei Weitem nicht so überzogen schmal wie diese hier.

»Ich weiß nicht, was ihr die ganze Zeit zu jammern habt. Ich finde diese Präsente wirklich überaus schick.« Nesya war die jüngste der drei Schwestern. Sie war gerade einmal siebzehn Jahre jung, sodass ihr Körper sich wunderbar in die Stoffe aus Rubinstadt fügte. Beschwingt schritt sie darum mit angehobenem Schleppenrock voran, während die beiden älteren kaum aufrecht gehen konnten mit dieser Textilsünde von einer Gewandung.

»Bei aller Liebe Nesya, aber wenn du erst mal sowas wie Brüste und einen vernünftigen Hintern hast, wird‘ ich dich an diese deine Worte erinnern,« drohte Namya, die älteste, ihrer jüngeren Schwester.

Irgendwie schaffte es das Gör ständig, das Glück auf ihrer Seite zu haben. Seit sie als Findelkinder im Wald ausgesetzt worden waren, musste das Nesthäkchen sich nie um etwas kümmern. Sie ließ sich mit der schwer erbeuteten Nahrung füttern, bekam keine Schelte von den Waldwarten für das Stehlen ihrer Habseligkeiten und wurde ständig herumgetragen, wenn ihr die Beine vom Flüchten, Verstecken oder Klettern weh taten. Als die drei nach gut vier Jahren des Überlebenskampfes in der Wildnis dann endlich Zuflucht im Roten Raben fanden, bekam sie zudem grundsätzlich die leichteren Aufgaben, das weichere Bett und später sogar die schöneren Männer ab. Und jetzt? Jetzt war sie auch noch die Einzige, die sich für diesen perversen Sonderling, den Namya hinter diesem unbekannten Gönner vermutete, nicht in Klamotten schinden musste, die ihr nicht passten.

»Bist du etwa eifersüchtig auf meinen jugendlichen Körper, Namy,« erkundigte Nesya spitzfindig und drehte dabei eine halbe Pirouette, um ihrer Schwester ins Gesicht grinsen zu können.

»Ich! Eifersüchtig! Auf dich Grünschnabel! Ganz sicher nicht,« schnarrte Namya zurück.

»Offensichtlich doch,« widersprach die Jüngere schnippisch und tänzelte provokativ im Rückwärtslauf vor ihrer Großen umher. »Ansonsten würdest du wohl kaum so gereizt reagieren, wie du es ger...«

Ein Rutschen, ein Rascheln und ein Rumpeln beendeten ihren Satz. Da sie nicht darauf geachtet hatte, wo sie hin lief, war sie prompt einen kleinen Abhang hinunter gefallen. Mit dem äußerst unangenehmen Knackgeräusch von gut ein Dutzend Ästen kam sie in einem Gebüsch zum Erliegen. Ihr Ungeschick erntete keinerlei Mitgefühl, im Gegenteil. Ein schallendes Gelächter drang von der Anhöhe aus hinunter zu Nesya, die sich schmerzlich den Hintern rieb.

»Schau dir das an, Nya! Unser Paradiesvögelchen übt den Sturzflug!«

Nyande, der es endlich gelungen schien, humpelnd ihre Füße von diesen verfluchten Stelzen zu befreien, kam auf einem Bein hüpfend neben ihrer großen Schwester zum Stehen. Als sie die Jüngste im Gestrüpp sitzen sah, stimmte sie ebenfalls in das Gekecker ein:

»Na wenigstens scheinst du unseren Zielort gefunden zu haben, Brieftäubchen.«

Japsend, weil noch halb außer Puste von ihrem akrobatischen Entfesselungskünsten in Sachen Fußbekleidung, zeigte Nyande auf das Wurzelhaus unmittelbar hinter der Hecke. Es war wie viele Tiefenwaldhäuser in einen Hügel eingebettet, der wilden Tieren und umherstreifenden Dieben kaum Angriffsfläche bot. Vom Aussehen her glich ein Tiefenwaldhaus dem anderen, sodass nur das Türschild, manchmal auch ein seltenes Ziergewächs neben der Türschwelle, nähere Auskunft über den Besitzer gab. In diesem Fall handelte es sich allerdings um ein eher schmuckloses Gewölbe an einem wenig einladenden Standort, dem es an licht fehlte.

»Sucht nach der verlassenen Unterkunft am Bachlauf, etwa drei Meilen südwestlich von Nathum,« stand im Kundenbrief. Eine tolle Wegbeschreibung. Im Unterholz nach einem Freier suchen zu müssen, war definitiv nicht im Stundenpreis mit inbegriffen. Der Kerl würde deshalb erst mal ein paar Groschen drauflegen müssen, bevor er in den Genuss schwesterlicher Zärtlichkeiten kam.

Namya registrierte, das die Türe einen Spalt weit offen stand. Ihr Kunde musste demnach schon vor Ort sein. Gut so. Darauf, sich hier die Beine in den Bauch zu stehen, verspürte nämlich keine der Damen große Lust, nachdem sie sich gut eine Stunde durch das Walddickicht gekämpft hatten.

»Kommt. Wir wollen unseren Modezar doch nicht warten lassen.«

Im Vorbeigehen half die Älteste der Jüngsten mit einem behänden Ruck aus dem Gebüsch und wieder auf die Beine. Nesya musste sich auf dem Weg zur Tür erst einmal Dreck und Blattwerk aus ihren Haaren und dem vornehmen Fummel streichen.

»Ich hoffe, es ist nirgendwo ein Fleck,« erging eine Frage an Nyande, die ihrer Schwester mit einem begrinsten Kopfschütteln die ästhetischen Sorgen nahm.

»Du siehst gut genug aus.«


Schatten im Unterholz, Tiefenwald

Bestimmt ergingen drei Klopfzeichen an das Hausportal. Keine Reaktion. »Hallo?!«

Die Älteste war nicht gerade für ihre Geduld bekannt. In ihrem Metier bedeutete Zeit bares Gold, weshalb sie Kundschaft zwar mit der nötigen Aufmerksamkeit beehrte, danach aber recht zügig das Tête-à-Tête beendete.

»Halloohooo!«

Endlich, Geräusche aus dem Inneren. Es war derselbe Bursche, der zuvor die Nachricht in der Taverne überbracht hatte, und ihnen nun Einlass in die Behausung gewährte.

»Entschuldigt die Verzögerung, meine Damen,« sprach er kleinlaut und irgendwie ängstlich. »Mein Meister ist noch in der Badehalle. Ich soll Euch zu ihm bringen.«

Einen Diener machend, verwies er Nesya, Nyande und Namya in die Eingangsstufe.

»Du bist aber ein wohlerzogener Jüngling,« zirpte Nesya.

»Wahrlich, ganz anders als dein Herr, der uns hier in Folterkleidung durch Wald und Flur irren lässt, um ihn zu finden,« polterte Namya.

»Wie heißt du denn, kleiner Fuchs,« erkundigte sich Nyande und glitt dem Pagen im Vorbeigehen keck mit den Fingerkuppen über die Wangen, als sich ihre Brüste dicht an ihm vorbei durch den Türspalt schoben.

Der junge Mann wirkte leicht höchst nervös ob der drei Frauenzimmer, die ihn da umschwirrten. Selten hatte er mit dem schönen Geschlecht zu tun und noch seltener mit solch charmanten Exemplaren.

»Ph... Phyron, Mylady. Mein Name ist Phyron«

Verlegen blickte der angehende Valet zu Boden und schloss die Türe.

»Aaah, Pyhron.«

»Er ist ein hübscher Kerl.«

»Sieh dir seine Wangen an. Er wird ja ganz rot.«

Sein Gesicht verlegen zurück ins Innere des Foyers wendend, stellte Phyron mit Entsetzen fest, dass seine eingehende Beurteilung der Bodendielen durch drei aufreizende Dekolletés beeinträchtigt wurde. Als er aufblickte, sah er sich umringt von den Grazien, die ihn für seine Begriffe viel zu dicht vor seinem Gesicht musterten.

»Ich... bringe euch besser nach unten,« entzog er sich geschickt ihren verführerischen Avancen. »Bitte, folgt mir.«

Schmunzelnd warfen die Schwestern sich einige Blicke zu, ehe sie der Aufforderung nachkamen. Sie folgten sie dem Knaben einen reich verzierten Treppengang hinab. Ab und zu zweigte er ab in ein Zimmer oder eine Kammer. Höchstwahrscheinlich waren es Schlaf-, Koch- oder Lagerräume, wie es eben für ein Tiefenwaldhaus üblich war. Ganz unten angelangt, wurden die drei einen Wurzelkorridor entlang geführt, an dessen Ende ein weiteres Gewölbe eingelassen war. Als Phyron die Tür öffnete, bot sich den Schwestern ein interessanter Anblick.

Die kunstvollen Trennwände eines Paravents entdeckten sie, ebenso eine mutmaßliche Anrichte, über der ein riesiger Spiegel zu hängen schien. In der Mitte der Halle stand ein großer Badezuber, befüllt mit heiß dampfendem Wasser. Feuchtwarmer Dunst nebelte fast die komplette Badehalle ein, weshalb der Mann, der sich in der Wanne offensichtlich gerade eine Schönheitskur gönnte, nur schwer zu erkennen war. Seinen Hinterkopf, wie auch das vornehme Interieur begutachtend,  traten sie ein.

»Ah, meine bezaubernden Gäste für den heutigen Abend,« löste sich eine Stimme aus dem aromatischen Dunstnebel. »Ich hoffe ihr hattet eine angenehme Reise hier her.«

Weder dreht er sich nach ihnen um, noch machte er anderweitig Anstalten, ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, was Namya ziemlich verärgerte.

»Um ehrlich zu sein war es eine Zumutung, mein Herr.« Namya, offizielle Rädelsführerin des Trios, zog die beiden Jüngeren an ihre Seite. »Für gewöhnlich machen wir keine Hausbesuche, Ihr seid da schon eine wahre Ausnahme, wisst ihr?«

Sie hatte ein Talent dafür, den Preis mit zuckersüßen Worten in die Höhe zu treiben. Tatsächlich löste sich auf ihre Worte hin ein kehliges Lachen aus dem Badezuber.

»Macht Euch um die Bezahlung keine Gedanken, schöne Dame. Ihr werdet entlohnt werden, wie es Euch gebührt.«

Unter reichlich Plätschern erhob sich der Kunde aus seiner Wanne.

»Phyr?«

Der vermeintliche Pagenjunge sprang sofort, als sein Name fiel. Er reichte seinem Herren ein Handtuch, spät genug, als dass die Frauen den Nackten eingehend bestaunen konnten. Er sah gut aus. Nicht übermäßig muskulös, aber wohl definiert und groß gewachsen – ein angenehmes Erscheinungsbild für einen Freier, das zu bedeutungsschwangerem Augenkontakt unter den Dirnen führte.

»Sei so gut, und geleite unsere Besucher in das große Schlafgemach, mein junger Freund. Ich komme gleich nach.«

»Ja, Meister.«

Was für ein kurzer Auftritt. Kaum im einen Raum angekommen, wurden sie schon in den nächsten gescheucht. Einen wundervollen, zugegeben. Die Möbel waren einheitlich aus dunkler Kastanie gefertigt. Das Himmelbett war umspannt von bordeauxfarbener Seide. Solch einen großzügig bemessenen Schlafplatz hätte wohl jede von ihnen gerne gehabt. Und erst der Kleiderschrank. Fünfzig Gewänder hätten locker darin Platz gefunden. Für eine Frau genau das Richtige. Kerzenschein tauchte das Fensterlose Gemach zudem in ein romantisches Licht, bei dem es nicht schwer fiel, in die rechte Stimmung zu kommen.

»Sowas hab‘ ich ja noch nie gesehen!«

Nesya sprang zuallererst schnurstracks auf das riesige Himmelbett zu, dicht gefolgt von Nyande. Unter der Wucht, mit der sie sich hinein fallen ließen, knarzte das Gestell leicht.

»Jetzt benehmt euch gefälligst nicht wie zwei unmanierliche Kinder,« erreichte sie sogleich eine harsche Mahnung seitens Namya. »Wir wollen doch einen professionellen Eindruck machen.«

Ihre Beschwerde wurde wie üblich überhört. Mehr noch, sie wurde frech kommentiert.

»Du bist nicht unsere Anstandsdame,« maulte Nesya. »Hör auf immer so überkorrekt und unlustig zu sein.«

Wirklich, Namya konnte mit ihrem Großmutterverhalten jede Atmosphäre kaputt machen.

»Nein, Anstand ist wirklich das Letzte, wofür wir hier sind,« pflichtete Nyande den Worten ihrer jüngsten Schwester bei.

Typisch. Manchmal glaubte Namya, sie hatte es mit naiven Gören zu tun, anstatt mit zwei professionellen Liebesgöttinnen.

»Ihr beschämt mich, wisst ihr das?«

Die Älteste verschränkte die Arme, während ihre Augenlichter einen für die zwei anderen nur allzu bekannten, abfälligen Ausdruck formten.

»Was seid Ihr denn so streng mit ihnen,« raunte eine Männerstimme hinter Namya. »Sie wissen eben wie man sich amüsiert, das ist alles.«

In ihrer Ablenkung hatte keine der drei bemerkt, wie hinter dem Knaben, der sie hier her gebracht hatte, endlich ein frischgebadeter Gastgeber aufgetaucht war. Viel hatte sich der attraktive Kunde nicht angezogen. Eine leichte Seidenhose von dunkelroter Färbung und ein paar Hausschlappen. Auf seinen Oberkörper, wie auch sein Antlitz genossen die Schwestern nun aber endlich eine freie Sicht. Wie Phyron umrahmte seine Züge eine lange Mähne, die allerdings dunkelgrau, nicht blond war. Sie gehörte zu einer Person, die offensichtlich etwas für vornehme Spitzbärte übrig hatte.

»Du kannst gehen,« entließ er seinen überaus unterwürfigen Handlanger, der offenbar nur allzu gern das Zimmer verließ. Hastig schloss Phyron die Türe hinter sich und verschwand. Sein Herr indes näherte sich Namyas Schultern. Er umfasste sie mit leicht ausgefahrenen Klauen und strich mit der Nase an ihrer Halsschlagader entlang bis hinauf zu ihren zart beflaumten Wildelfenohren.

»Da habe ich mir also drei nemesische Kätzchen eingefangen, mh?«

Auf dem Bett kicherte es auffällig. Die große Schwester wurde soeben durch einen Kerl wortkarg gemacht. Ein seltener Anblick.

»SIE ist mit Sicherheit kein Kätzchen, mein Herr.«

»Eher eine Raubkatze.«

Der Mann sah flüchtig zu ihnen hinüber.

»Ach wirklich? Ist sie das,« hakte er ungläubig nach. »Das kann ich kaum glauben. Immerhin legt sie mehr als gefügig den Kopf beiseite.«

Namya war der Kerl nicht ganz geheuer. Zwar ließ sie es ihre Schwestern nicht merken, aber seine sarkastische Art bereitete ihr Unbehagen.

»Wisst ihr, ich finde Nemesavas Weibchen wirklich interessant.« Er unterhielt sich ganz ungezwungen mit den beiden jüngeren, während er mit der älteren Schwester auf Tuchfühlung ging.

»Das haben wir uns schon gedacht.«

Nyande schmunzelte und lehnte sich auf dem Bett in reizvoller Pose zurück.

»Bei Eurer Anfrage war das auch nur schwer zu übersehen,« fügte Nesya siebengescheit hinzu und tat ihr Bestes, Nyandes Posen nachzuahmen.

Männer wie er kamen öfter in das Etablissement des Roten Raben, wenn sie an der Grenze unterwegs waren. Sie alle hatten ein Faible für das Exostische. Nemesavas Töchter waren nicht nur dunkler, sondern in ihrem Erscheinungsbild auch ursprünglicher als die blassen Damen aus dem Norden. Für gewöhnlich begnügten sich diese Liebhaber waldeigener Schönheit aber mit einem der Mädchen.

»Wir spielen auch gerne mit Füchsen.«

Ein gängiger Kosename für die Waldläufer des Nachbarreiches. Die meisten von ihnen, die so nah an der Grenze wohnten, gehörten zu den Sion, einem alten Fuchsclan aus dem Südwesten Rayans.

»Oho, nein,“ grinste der Mann. „Ich bin kein Fuchs. Ich bin en Drache.«

Die zwei Schwestern auf dem Bett kicherten, als er ihnen seine Fänge entblößte und dabei den Hals ihrer Schwester etwas fester umklammerte.

»Sagt, was fasziniert Euch denn so an uns?«

Nesya und Nyande krabbelten wie zwei neugierige kleine Mädchen ans Fußende der Bettes. Sie beobachteten den Fremden dabei, wie er ihre ansonsten recht widerspenstige Schwester umgarnte.

»Ach, wisst ihr, das ist gar nicht so leicht zu erklären.«

Langsam lockerte er die Bänder von Namyas Korsage und biss dabei spielerisch in ihren Nacken.

»Da wäre zunächst einmal der Geschmack Eures Blutes. Es ist süßer als das unserer Frauen, was wahrscheinlich daran liegt, dass ihr viele Waldfrüchte esst.«

Bei seiner Erklärung runzelten die beiden dann doch die Stirn.

»Das gleiche gilt für euer Fleisch,« fuhr er fort. »Es ist zart und lässt sich wunderbar leicht von den Knochen reißen.«

Die beiden Schwestern sahen sich schockiert an.

»Und nicht zuletzt kreischt ihr so schön, wenn man es Euch im Todeskampf so richtig besorgt.«

Es tat einen brutalen Ruck, der Namyas ganzen Körper erfasste. Eine scharfe Klinge blitzte blutig aus ihrem Brustkorb hervor. Dann erloschen alle Kerzen im Raum. Völlige Finsternis verschlang das Zimmer und wurde nur von dem Geschrei zweier hysterischer Frauen durchdrungen.

»Was habt ihr denn? Mögt ihr etwa keine Dunkelheit?« Zwei blutrote Iriden leuchteten in der Finsternis auf. »Ihr tragt sie doch wie eine Haut am Leib.«

Ein dumpfer Aufprall verriet Nesya und Nyande, dass ihre Schwester soeben zu Boden sackte.

»Namya!!«

Ängstlich kauerten sich die beiden Frauen auf dem Bett aneinander, herzzerreißend nach ihrer großen Schwester schreiend. Sie hörten Stiche, zerreißende Stoffe und etwas, das wie ein panisch erstickendes Gurgeln aus der Kehle ihrer geliebten Rudelführerin klang.

»Hört auf damit! Hört auf ihr weh zu tun!«

Nesya keifte durch das schwarze Nichts des Zimmers. Ihre Augen flammten vor Hysterie in gleißendem Eisblau, während sie zusehen musste, wie der azurfarbene Schein von Nyandes Augenlichtern auf dem Boden immer schwächer und schließlich eins wurde mit den Schatten, in denen sie erloschen. An ihrer Stelle glimmten zwei blutige Pole auf, die blutdurstig auf die hilflosen Opfer vor sich starrten.

»Was denn, Kätzchen? Wolltest du nicht gerade eben noch mit mir spielen?«

Der Docht einer Kerze in dem Armleuchter nahe der Türe fing erneut Feuer. In fahlem Licht gab er das volle Ausmaß der Gräueltat preis. Zwei leere Augenhöhlen starrten hilfesuchend und leblos gen Bett. Den Mund wie zum Schrei weit aufgerissen lag Nyande tot auf dem Rücken. Ihr Hals, zerfleischt. Ihr Herz, herausgerissen und in den Händen eines Mannes, der es genüsslich aussaugte, dabei wie ein Irrer auf seine verbliebene Beute fixiert. Deren entsetzte Miene ließ ihn ekstatisch Grinsen.

»Na? Welche von euch will mir als nächstes mit mir tanzen?«

Nyande riss Nesya reflexartig hinter sich. Um die Jüngste zu verteidigen, beschwor sie die Macht des Runenpanthers. Ihr Blick wurde wilder, die Behaarung ihrer Spitzohren dicker. Bedrohlich fauchend fuhr sie ihre Krallen aus und lenkte so die Aufmerksamkeit des Monsters auf sich.

»Ja, JA! Das gefällt mir schon viel besser,« lachte der brutale Kerl voller Vorfreude.

Nyande attackierte den Mörder ihrer Schwester mit tödlicher Schnelligkeit. Der stieß den Leichnam vor sich achtlos mit dem Fuß beiseite und dachte nicht im Traum daran, auszuweichen. Er wehrte die Klauenschläge, Fußtritte und auch den versteckten Dolch aus Nyandes Hinterhand mit Leichtigkeit ab, drehte sogar ein paar spöttisch anmutende Pirouetten um die Klinge herum. Bei einem unachtsamen Dolchhieb seines Gegenübers fing er ihr schließlich Handgelenk ab.

»Du tanzt nicht schlecht, kleiner Panther. Aber für einen Ball in der Stadt reicht's noch nicht ganz.«

Kaum ausgesprochen, schlug er ihr mit einem derart wuchtigen Schlag in die Bauchgrube, dass diese zurück auf das Bettlaken flog. Ihr Athame in seiner Pranke haltend setzte er Nyande nach, sprang auf sie und stach die Klinge mitten durch ihr Korsett. Er schlitzte damit nicht nur ihr Mieder, sondern ebenso die Bauchdecke der Frau von oben bis unten auf.

Nesya, die inzwischen halb verzweifelt die Wand entlang zur Zimmertür geflüchtet war, versuchte in Panik, diese zu öffnen. Doch sie war von außen abgeriegelt.

»Phyron! Mach sofort auf!«

Der Junge musste irgendwo da draußen sein. Wie konnte er das grausame Geschehen nur überhören? Nun, er tat es nicht. Verstört kauerte er mit dem Schlüssel in der Hand am anderen Ende des Türe auf dem Boden, vergrub den Kopf zwischen seinen angezogenen Beinen und wippte apathisch vor und zurück. Gelegentlich zuckte er zusammen, wenn Nyande vor Schmerz aufstöhnte oder Nesya gegen das verschlossene Hindernis vor ihr hämmerte. Aber Phyron öffnete nicht. Wenn er es täte, erginge es ihm genau so, das wusste er.

Wozu sein Meister fähig war, hatte er am eigenen Körper erfahren. Unter seinem vornehmen Hemd schlummerten mindestens zehn frische und vierzig halb verheilte Blessuren. Die wohl unangenehmste davon im Bereich seines Gesäßes. Er konnte kaum darauf sitzen, weshalb er sich nach einer Weile aus seiner Sitzposition löste und benommen in die Badehalle rannte.

Er sperrte sich ein, zog sich aus und stieg in das noch lauwarme Badewasser. Mit monotonen, hastigen Bewegungen schrubbte er sich gut zehn Minuten die Haut wund. Danach tauchte er sich bis über beide Ohren in den Zuber. Er würde so lange hier liegen bleiben, bis die ganze Sache vorbei war.

Worauf er noch eine ganze Weile warten konnte, denn sein Herr kam gerade erst zum Hauptgang.

Nahezu zärtlich strich er über die Gedärme, die sich ihm darboten. Sie tränkten die Bezüge unter sich fast vollständig in feucht-klebriges Sekret. Eine Schlachtbank auf Daunen. Eigentlich wollte der Schlächter gerade den süßen Duft der Innereien einatmen, da traf ihn ein Schuh zornig am Hinterkopf.

Nesya wusste sich nicht anders zu helfen. Sie war noch fast ein Kind und wusste weder, wie man die Animalis beschwor, noch wie man sie im Kampf nutzte. Ihre Provokation ließ den grausamen Kerl lediglich aus seiner kranken Trance aufwachen. Er ließ ab von seiner Beute, deren Atmung immer schwächer wurde, und wandte sich der Jüngsten zu.

»Mit dir lass ich mir ganz besonders viel Zeit, Kleines,«

Sein blutverschmierter Körper begann, sich zu deformieren. An seinen Armen raffte sich die Haut zu harten Schuppen zusammen. Nicht, dass er diese Gestalt gerade nötig gehabt hätte. Er wollte lediglich den Geruch der Angst in dem Mädchen schüren, das erneut vergeblich an der Tür rüttelte.

»Hab keine Angst, Kätzchen. Ich wird dir nicht noch mehr nehmen. Mit einer Ausnahme.«

Dicht vor ihrer Brust kam er zum Stehen .Eine gewaltsame Ohrfeige zwang Nesya zu Boden, wo sie für einen Moment in Ohnmacht fiel. Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich auf dem Bett wieder. Ihr verschwommener Blick suchte angsterfüllt nach Orientierung und fand sie, als sie an einem von dunkler Echsenhaut übersätem Rücken hinauf starrte, der an dem geöffneten Schlafzimmerschrank lehnte. Es waren keine schönen Kleider, die sich darin befanden. Blank geputzter Stahl, scharf und spitz, blitzte daraus hervor. Ihr Peiniger traf gerade seine Auswahl. Sie fiel auf ein Skalpell, das neben Klemmen, Scheren und anderem Folterwerkzeug säuberlich sortiert auf einem kleinen Tablett im Schrankregal lag. Der Sadist schlenderte damit gelassen auf Nesya zu.

»Willst du mich nochmal ansehen, Kätzchen?«

Das letzte, was Nesya je in ihrem Leben zu Gesicht bekommen sollte, war das schäbige Grinsen ihres vermeintlichen Freiers und eine scharfe Klingenspitze, die sich ihren Augen bedrohlich näherte. Danach wurde es dunkel um sie herum.

Phyron spielte in der Wanne unterdes mit dem Gedanken, sich einfach selbst zu ersaufen. Dann wäre dieser Horror endlich vorbei. Seine Mutter hatte ihn an eine reiche Adelsfamilie vermittelt, von der es hieß, dass sie ihre Pagen reich belohnte. Sie trugen die feinsten Kleider, aßen das teuerste Essen und schliefen in prunkvollen Gemächern. Das war mehr als die meisten anderen Jungen seines Alters in Aussicht hatten. Hätte er damals nur gewusst, was sich wirklich hinter den Mauern der Villa Dragovaste abspielte.

Ihm ging allmählich die Luft unter Wasser aus. Ein paar Luftblasen stiegen an die Oberfläche, in der sich sein verängstigtes und beschämtes Gesicht widerspiegelte. Zwischen Tod und Leben hin und her gerissen betrachtete er seine Züge in dem liquiden Spiegelbild. Urplötzlich schien sich die Reflexion drastisch zu ändern. Seine Augen liefen schwarz an, ebenso sein sonnengelbes Haar. Ein tiefer Schreck durchdrang ihn, als das Gesicht im Wasserspiegel plötzlich blinzelte. Es betrachtete den jungen Dienstboten verächtlich.

Der Blick durchdrang seine Seele und zerrte jedes widerwärtige Detail, dessen er je Zeuge Wurde an die Wasseroberfläche. Der Spaziergang durch die Boutiquen von Rubinstadt mit seinem Herren, bei dem er den Knaben die Gewänder für die drei Schwestern aussuchen ließ. Der Abend bei Kerzenschein, an dem er vor das Schreibpult im großen Teesaal zitiert wurde, um die verlogenen Worte seines Herrn in einen Brief zu schreiben. Die Kutschfahrt nach Nathum in tiefster Nacht, auf der Ladefläche eines alten Karren, der außer den zwei Männern nur Leichen geladen hatte.

Es kam Phyron so vor, als würde er sich bei der Seelenschau, die ihm gerade widerfuhr, selbst verlieren. Das war nicht er, der da seinen Geist steuerte. Befand er sich überhaupt noch in dem Wurzelhaus? Ihm war, als würde das Wasser jegliches Kerzenlicht in der Badehalle ersticken. Wie schwarzer Rauch oder… Tinte?

Der stille Beobachter hatte genug gesehen. Wie aus einem kalten Griff entließ er die Seele des Dieners und trennte die Verbindung. Nach Luft japsend schnellte Phyron aus dem Wasser und suchte am Rand des Badezubers halt. Er fühlte sich ertappt, verfolgt. Das Gefühl sollte ihn selbst dann noch nicht loslassen, als er mit seinem finsteren Meister längst wieder auf dem Weg nach Rubinstadt war.

Es dauerte fünf Nächte, bis Nathums Wachen dem Verbrechen auf die Schliche kam. Mama Holzbein hatte sie alarmiert, nachdem ihre Mädchen am Tag nach ihrem ungewöhnlichen Hausbesuch nicht zurück in den Roten Raben gekehrt waren. Die Alte hatte ein gutes Gedächtnis und sich daran erinnert, in welche ungefähre Richtung die drei beordert wurden. Schon etwa eine halbe Meile vor dem Fundort der Leichen lasen sie eine verstörte junge Frau auf, deren Augenlichter offenbar auf brutale Weise aus ihrem Kopf geschält worden waren.

Ihre blutige Tränen, die auf ihren Wangen mittlerweile ein fest verkrustetes Rinnsal zeichneten, sollten ein dunkles Vorzeichen dessen sein, was die hiesigen Ordnungswächter am Tatort vorfanden.  Sie waren mit der Situation heillos überfordert, deshalb schickten sie nach dem einzigen Offizier der Blutklingen vor Ort. Die Spezialeinheit hatte sich einst mit Ritualmorden dieser Art beschäftigt, als Rayan noch weniger zivilisiert war als heute. Außerdem musste dieses Vorkommnis von irgendjemandem in die Hauptstadt gemeldet werden.

Als Zakane am Tatort ankam, stieg ihm schon an der Eingangstür dieser unverkennbare, beißende Geruch in die Nase. Kein Wunder, dass sich ein paar der weniger hart gesottenen Stadtwachen vor dem Haus erst einmal übergeben mussten. Der breitschultrige Nemesier hatte mit Ausnahme seiner Routineinspektionen an der Landesgrenze nicht mehr viel mit seinen Landsleuten am Hut. Der Anblick, der sich ihm in den Tiefengewölben des Hauses bot, ließ jedoch selbst ihn auf Rache für die entweihten Körper seiner ehemaligen Clanschwestern sinnen.

Die Wände des Schlafzimmers, in dem sich die grauenhafte Tat abgespielt hatte, waren übersät mit Hexerrunen, gezeichnet mit dem Blut der Opfer. Eines davon war auf solch bestialische Weise auf dem Bett zerlegt worden, dass die Wachen sie mit einem Laken bedeckt hatten, um zumindest den letzten Rest ihrer Würde im Tod zu bewahren. Die andere ließ sich nicht so leicht kaschieren. Jede ihrer Extremitäten war in einiger Höhe an einem Bettpfahl angebunden, sodass ihr ausgeweideter Körper wie ein morbider Engel über dem Torso ihrer jüngeren Schwester thronte.

»Schafft mir den Kommandanten her.«

Zakane wagte es nicht, in diesem Raum auch nur irgendetwas anzufassen, ehe sein Vorgesetzter sich selbst ein Bild von diesem dämonischen Vergehen gemacht hatte.

»SOFORT!«

Er schrie die nichtsnutzigen Wachen an, als machte er sie höchstpersönlich für diesen Frevel verantwortlich. Wo zum Henker waren sie, während sich so etwas in ihren Wäldern abspielte? Er stieß sie aus dem Zimmer und knallte die Tür mit einer solchen Wucht zu, dass sie fast aus den Angeln gehoben wurde. Diese Schändung würde die Beziehungen zwischen Rayan und Nemesava belasten. Umso mehr, wenn sie nicht zügig aufgeklärt wurde.

Böses Blut zwischen den Clans gab es schon genug. Das Einzige, was den fragilen Pakt zwischen dem Norden und dem Süden aufrecht erhielt, waren alte Riten und freundschaftliche Bande zwischen den Matriarchinnen beider Länder, die tiefer gingen als jeder Schwertstich. Aus diesem Grund musste jeder, der in die Aufklärung dieses Falls verwickelt war, noch am selben Tag einen Schwur zum Stillschweigen ablegen. Selbst die alte Holzbein, die sich wegen ihrer drei liebsten Mädchen vor dem Haus die Seele aus dem Leib weinte.

Noch mehr Diskretion forderte ein Diebstahl, der sich in derselben Nacht wie der Ritualmord ereignete. Die Priesterschaft des Tempels zu Zakuray hatte in der Erfüllung ihrer uralten Pflicht versagt. Zakane und seine Offiziere fanden am Tag vor seiner Reise nach Nathum mehrere leblose Körper in den Tempelhallen vor. Sie hatten sich das Leben genommen, nachdem sie feststellen mussten, dass einer der drei Steine der Macht aus den Tempelgewölben entwendet wurde. Ein Sakrileg, das nur von einem korrupten Tempeldiener verübt werden konnte. Niemand anderes hatte Zugang zu den versiegelten Truhen, in denen die Steine seit dem Fall der Hexerkönige aufbewahrt wurden. Beunruhigend. Die Rabenpriesterinnen von Zakuray hatten dem rayanischen Thron seit Jahrtausenden die Treue geschworen. Sollten sie abtrünnig stünden dem Reich größere Gefahren ins Haus als ein blutversessener Mörder mit perfiden Neigungen.

Der Raji‘Draq kniete vor den getöteten Freudenmädchen nieder und sprach die alten Gebete für die beiden Frauen. Mit der Stirn an den Boden gelegt, bat er die Göttin um Vergebung für das Versagen der Männer, die geschworen hatten, jede Frau Gardyan‘s mit dem eigenen Leben zu schützen. Dann richtete er sich auf und bezog vor der Tür Stellung. Nichts und niemand würde an ihm vorbei gelangen und über diese Schwelle treten, bis sein Vorgesetzter eingetroffen war.

Kommandant Arajon würde die Neuigkeiten nicht gut aufnehmen. Seine besonderen Verbindungen zum Nachbarreich ließen sein Gemüt regelmäßig überkochen, wenn er es mit einem Delikt zu tun bekam, das sich gegen Rayans Schwestermatriarchat richtete. Ihm war es zu verdanken, dass ein Großteil der xenophobischen Aufrührer lieber das Maul hielt, anstatt sich mit einem Sohn des Drachenblutes anzulegen. Araq’s Erben galten als die fähigsten unter den Raji’Draq, nicht zuletzt auch, weil es ihre Blutlinie war, der die rayanische Kampfkunst entsprang. Dass es jedoch nicht der Drachenstein, sondern der Rabenstein war, den die Diebe aus dem Tempel gestohlen hatten, bereitete Zakane mehr Unbehagen, als er sich eingestehen wollte. 

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