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Kapitel 3: Blutmond

Oct 17

21 Min. Lesezeit

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Es war das Fest des Blutmondes. Ein heiliger Feiertag zu Ehren der großen Ahorngöttin, wenn der zweite der drei Monde, die Gardyans Himmel des Nachtens zierten, in vollem Stand zu sehen war. Nur einmal im Jahr war das der Fall und wenn es geschah, trieben zügellose Instinkte die Kinder des Weltenahorns um. Ihr Blut kochte unter dem Schwur, den ihre Schöpferin einst abgelegt hatte. Ihr Fleisch sollte sich zu Holz, ihr feuerrotes Haar zu rubinroten Ahornblättern wandeln. Auf dass sie für alle Zeiten als mächtigstes Geschöpf von Rayan schützend über ihre Kinder Wachen konnte. Sie gab ihre göttliche Gestalt dafür und gelobte unter dem roten Mond, dass ihre Nachkommen für immer in der Blutschuld an das eigne Land gebunden wären. Wenn, ja wenn sie nur ewig leben dürften.

Arayona war eine stolze Göttin. Ihre Schöpfung, die Rayonaigh, waren ihr ein und alles. Elfengleiche Drachenkrieger und ihre Matriarchinnen, die einst aus dem Blut der Göttlichen unter den Wipfeln riesiger Ahornbäume geboren wurden. Doch so vollkommen ihre Gestalt war, so unbändig war ihr Blutdurst. Sie schändeten, schlachteten und mordeten jede Nacht. Tiere, Reisende, ja, sogar sich selbst. Und dieses Triebverhalten beschämte ihre Göttin.  Es zu zügeln gelang nur dank uralter Riten und einer strengen Hand der Führung. Weiblicher Führung.

Die Töchter Arayonas hielten ihre Neigungen schon damals weit besser im Zaum als ihre Söhne. Darum verfügte die Göttin mit ihrem letzten Atemzug, dass Rayan bis ans Ende aller Tage dem Matriarchat unterstand. Und Matriarchinnen sollten die Geschicke des Reiches fortan lenken. Mit harter Disziplin und drakonischen Strafen für Ungehorsam unterwarfen sie ihre Brüder und formten aus ihnen die gefürchtete Kriegerkaste der Raji‘Draq. Ein mächtiger Kriegerorden, der alljährlich zum Blutmond  in urzeitlicher Raserei das blutigste aller Duelle austrug: den Klingentanz des Drachenklaue.

Für gewöhnlich enthielt sich Aaron diesem Treiben, meditierte stattdessen in den tiefsten Gewölben des Ahornhains von Zakuray, bis die Nacht überstanden war. In diesem Jahr aber kam alles anders. Es sollte die Nacht werden, in der sein Sohn das Licht der Welt erblickte.

Schon die Nächte zuvor fand er kaum Schlaf. Finstere Gedanken quälten seinen Geist. Er jagte sie und sie schrie um Hilfe. Doch keiner würde ihr helfen, niemand sie vor seinem tollwütigen Zustand bewahren können. Seine Hände waren Klauen, seine Arme besetzt mit rotgoldenem Fell. Er pirschte auf sie zu und drängte sie in einer felsigen Schlucht des Rubinwaldes in eine Ecke. Mit Schaum vor dem Mund knurrte er sie an, die Mutter seines ungeborenen Kindes. Und als sie einen letzten verzweifelten Schrei ausstieß, fiel er sie an, mit der Intention, sie zu zerfleischen. Schweißgebadet schreckte er jedes Mal auf, bevor er im Traum sein grausames Werk vollenden konnte. Er hätte nicht damit leben können, wenn Adra etwas zustieße, schon gar nicht, wenn es in seiner Verantwortung lag. Die potentielle Schuld dessen, was er imstande war, ihr und dem Kind anzutun, trieb ihn fast in den Wahnsinn. Weshalb er beschloss, sich im Kampf etwas auszutoben und ihrem Landsitz an der Ostgrenze Rayans für die Nacht so fern wie möglich zu bleiben. Adra war nicht gerade erbaut darüber, dass er sich nach Rubinstadt im Norden absetzte, während sie kurz vor der Niederkunft stand. Doch was er tat, tat er zu ihrem Schutz und dem des Jungen.

Von innerer Unruhe verließ er seine temporäre Unterkunft in einer vornehmen Stadtherberge und nahm im tiefsten Dunkel der Nacht den beschwerlichen Weg zum Fuße des Ray Gebirges auf sich. Der Waldpfad zwischen der Stadt und dem Aufstieg zur Arena war steil und schlecht beleuchtet. Im angetrunkenen Zustand liefe es sich leichter, doch Aaron hatte jeden Tropfen Alkohol aus dem Haus schaffen lassen, nachdem er von Adras Schwangerschaft unterrichtet worden war. So mussten es seine angeborene Nachtsicht und sein eiserner Wille tun, um den steinigen Pfad zum Gebirgspass zu meistern. Als er dort ankam, schliefen die meisten Kriegsdrachen schon auf ihren Felsvorsprüngen. Nur einer war noch wach. Rasheku, sein alter Gefährte, ließ sich die Rolle als Wächterdrache nach wie vor nicht nehmen und begrüßte ihn am Aufstieg zu den steinernen Wendeltreppen. Den vertrauten Geruch des Zweibeiners wahrnehmend, raunte das Tier kehlig und senkte den Kopf von seinem Rastplatz zwischen den Vorhügeln zu ihm hinunter. Sein riesiger Schädel ließ die nächtlichen Schatten um Aaron herum für einen Moment noch etwas dunkler werden. Der Großdrache war wohl selbst erstaunt, dass sich sein Drachenreiter zu so später Stunde hier noch blicken ließ. Für gewöhnlich waren es nur die eifernden Jungspunde, die hier zum Blutmond ihre Kräfte zu messen gedachten. Doch diesmal würde ihr Lord General dem blutigen Spektakel nicht nur beiwohnen, sondern dem ein oder anderen wahrscheinlich auch ein paar Blessuren verpassen.

Dem majestätischen Reptil ruhig über den Rücken seiner Schnauze streichelnd, musste Aaron kurz darüber nachdenken, wann sie eigentlich das letzte Mal einen Rundflug über die Ebenen gedreht hatten. Es war schon eine ganze Weile her. Mit all der Bürokratie, die ihn seit seiner Beförderung wie eine lästige Amtspflicht heimsuchte, fand er kaum noch Zeit für all die Dinge, denen er als einfacher Jägerfürst in seiner Freizeit nachgegangen war. Und dann war da natürlich noch sie…

Während er Rasheku in die echsischen Pupillen starrte, wurde ihm auf einmal schlagartig bewusst, dass sich sein Leben in den nächsten Jahren noch drastischer verändern würde. So tätschelte er dem Drachen noch einmal freundschaftlich das Kinn, bevor er seinen Weg nach oben fortsetzte.

Es waren etwa sechshundert Schritte hinauf zum Plateau der Draq’enar Arena. Sie lag in einer tiefen Felsmulde, überragt von einem der ältesten Blutahorne Rayans. Araquon, der Blutdrachenbaum, leuchtete im sanguinischen Mondlicht wie ein Meer aus roten Wolken. Er überragte den Kampfplatz, dessen Fassaden aus massivem Marmor gehauen waren. Rings um das rundliche Mauerwerk brachen Rubinkristalle in ihrer reinsten Form aus dem Gestein. Die Arena war mitten auf einer Kristallader errichtet worden. Ein Mahnmal, der an den Zweiten Krieg der großen Häuser erinnerte.

Brutale Schlachten wurden an diesem Ort einst um das kostbare Blut der Erde ausgefochten. Und so entschied die erste Matriarchin Rayans, Aarons Mutter Araya, dass die Rubinmienen keinem der beiden Lager gehören sollten. Stattdessen sollte das Areal der Draq‘enar das neue Hauptquartier der Reichsgarde werden, in dem die Krieger beider Seiten ausgebildet, trainiert und untergebracht wurden. Dieser Eigenwille Arayas sollte sie das Leben kosten. Doch ihr Wille war Gesetz und würde bis zum heutigen Tag gewahrt. Mit einer nächtlichen Ausnahme natürlich.


Blutmond

Am Fuße von Araquons mächtigem Baumstamm hatten sich einige Schaulustige eingefunden, die euphorisch hinunter in die Grube grölten. In der Senke hielten sich nur die mutigsten seiner jungen Krieger auf, gehüllt in die blutroten Kriegstuniken, die sie sonst nur zu feierlichen Anlässen trugen. Parcival und Peroy, zwei seiner Leutnants, begrüßten den General mit überraschtem Gesichtsausdruck, als sie ihn die Steintreppen hinaufkommen sahen.

»Aaron, mein Freund! Was treibst du denn hier zu so später Stunde,« gab Peroy erstaunt von sich, bevor er seinen Eidgenossen mit seinem kräftigen Arm brüderlich in den Schwitzkasten nahm.

»Er wird sich bestimmt verlaufen haben,« scherzte Parcival und drückte Aaron ein Trinkhorn mit Blutmet in die Hand, wohlwissend, dass dieser sich schon seit Tagen dem öffentlichen Blick entzog, um mit seiner Animalis wie immer auf seine eigene Art fertig zu werden. Diesmal wohl vergebens.

Gemeinsam scheuchten die beiden Offiziere ein paar der lebensmüden Neulinge vom Boden auf, um sich und dem Lord General den Weg zum Sitz der Dienstältesten freizumachen. Sie wussten, dass er nicht zum Beobachten hier war, wenn er in all den Jahren schon mal auftauchte.

Der General sah sich um. Das Nachtlager der Raji‘Draq war seit seiner Jugend erstaunlich gewachsen. Früher waren sie hier vielleicht zu zehnt oder zwanzigst Zugange, um sich gegenseitig die Schädel einzudreschen. Inzwischen waren es wohl mindestens hundert lebensmüde Recken, die sich hier regelmäßig versammelten. Und wie damals waren es die die Blutklingen gegen die Bluttrinker. Die einen waren raji’draq’sche Schwertkämpfer, die anderen tödliche Berserker. Eine alte Fehde, die sich wohl niemals legte. Manche Dinge bleiben wohl ewig bestehen. Doch von geordnetem Mann gegen Mann Duell war dieser Tage keine Spur mehr. Wie ein Rudel wildgewordener Hunde fielen sie in der Arena zu dritt oder viert übereinander her. Sie brachen sich die Glieder, schlugen sich mit tückischen Waffen und rissen sich gegenseitig mit rasenden Bissen das Fleisch vom Körper. Sie hielten ihre animalische Transformation kaum noch zurück. Mit Klauen und Reißzähnen gingen sie aufeinander los. 

Den wenigen Leutnants, die noch als Schlichter versammelt waren, konnte man die Enttäuschung über den Verfall der alten Sitten deutlich ansehen. Gefährliche Gebräuche, die sich da entwickelten. Ohne eine massive Bisswunde, Schnittverletzung, gelegentlich sogar mit abgetrennten Gliedmaßen, ging hier selten noch einer raus. Sie mochten unsterblich sein, doch der Schmerz blieb. Häufig fingen die Wunden nach ein paar Tagen auch übel an zu eitern. Und dann war es das für die nächsten Monate mit dem Training. Ein kampfunfähiger Krieger war den meisten Herrinnen eine Last. Und nicht wenige verloren in Folge ihre Gönnerin aus dem Stadtadel. Schlimmer noch, war die Gefahr, sich dauerhaft in eine Bestie zu verwandeln allgegenwärtig. Sie wurde umso größer, je öfter man die Transformation vollzog. Die Herrinnen von Rayan würden so ein Biest nicht dulden. Weshalb man im Ernstfall entweder im Kerker oder als kastrierter Kampfköter in den noch gnadenloseren Stadtarenen endete. Das würde dann das Ende einer Karriere als Raji’Draq bedeuten. Es war eine der wenigen dekorierten beruflichen Laufbahnen, die einem Mann in der gesellschaftlichen Hierarchie vergönnt war. Eine zweite Chance, aufzusteigen, bekamen die wenigsten. 

Ein Spiel mit dem Schicksal. Wie jedes Jahr. Aarons erstes Opfer hatte sich auch schon bald darauf gefunden. Ein hünenhafter Jungspund aus den Neuzugängen der Bluttrinker befand es wohl für eine fabelhafte Idee, seinem neuen General im Kampf zu imponieren. Er hatte seine Tunika gekonnt bis zur Hüfte herab gewickelt und so zu einem Kriegskilt umfunktioniert. Eine alte Sitte, die er deutlich besser beherrschte als den rechten Umgangston mit seinen Vorgesetzten. Proletenhaft und leicht angeheitert baute er sich vor seinen im Sitzkreis am Lagerfeuer versammelten Altersgenossen auf.

»Lord Sion! Wisst Ihr noch, wie es geht,« rief er provokant zu ihm herüber. »Ich bring‘s Euch gerne wieder bei!«

Für einen Lacher von seinen Kollegen riskierte er seinen Platz im Heer. Eine über alle Maßen dumme Entscheidung. Denn obgleich sonst als der kumpelhafte Mentor bekannt, der gerne rumalberte, war der Lord General heute Nacht nicht zum Scherzen aufgelegt.

»Oh ja, das hab‘ ich bitter nötig, Junge.«

Er heftete Peroy sein Trinkhorn vor die Brust. Der nahm es still vor sich hin grinsend entgegen und schüttelte nur den Kopf.

»Soll ich Euch eine von meinen Klingen leihen, General? Oder habt Ihr an Eure eigenen gedacht?«

Der Hüne genoss das Amüsement, das er von seinen Jahrgangsgenossen kassierte. Aaron ließ es ihm für den Moment. Schließlich wollte er erst mal in Ruhe ablegen.

»Da hast du Glück, mein Freund. Ich hab‘ sie alle dabei.«

Seine Tunika saß ihm sowieso viel zu eng. Er war über die Jahre wahrhaft aus ihr herausgewachsen. Um genau zu sein, seine Schultern waren es.

Das Gesicht des jungen Tölpels versteinerte für einen Augenblick, als er dem Raji‘Draq dabei zusah, wie er sein Waffenleder auf den Tisch unter dem Pavillion der Rangführer sacken ließ. Der Riemen hielt drei seiner besten Schwerter, zwei Dolche, einen Säbel und ein Espada Ropera. Er hatte die Waffen unter seiner Tunika den Berg raufgeschleppt und sie taten ganze Arbeit daran, ihm auf dem Weg ordentlich den Nacken zu verspannen. Kurz streckte er seinen Hals nach beiden Seiten, bevor er das Leder vor ihm auf dem Tisch aufrollte. Flüchtig musterte er dabei die Kampfrunen, die er sich während seiner Ausbildung auf beide Arme hatte tätowieren lassen. Ob er sie heute Nacht brauchen würde? Wahrscheinlich nicht. Dann sah er zu dem vorlauten Trottel am Lagerfeuer hinüber.

»Na, was ist? Willst du da drüben Wurzeln schlagen, oder was?«

Unter den gespannten Blicken seiner Meute verkniff der junge Recke sich jetzt doch die letzten Frechheiten.

Ob es an den Drachen lag, die da hinter der Arena zur Landung ansetzten und ein paar von der Ehrengarde im Sattel trugen, oder daran, dass er trotz seiner Größe um einiges schmächtiger wirkte als Aaron, nachdem dieser seinen Oberkörper entblößt hatte, war dem General ziemlich egal.

»Bis aufs Blut, General.«

Der leichtsinnige Riese bekam ein saloppes Prusten zur Antwort. Das Blut würde er schon bald schmecken können.

Nachdem er sich seine lange goldene Mähne fachgerecht nach hinten gebunden hatte, traf der Raji‘Draq in Ruhe seine Klingenwahl. Naja, was heißt in Ruhe… Ein paar der Erstsemester hatten da offenbar ganz klare Forderungen.

»Runenfuchs! Runenfuchs!«

Sie tranken heute definitiv mehr, als sie vertragen konnten und lümmelten wie die Herren der Arena auf der Tribüne herum. Bei ihrem übereifrigen Stoßgebet wäre einer fast von der Brüstung gefallen.

 »Wenn ihr dann endlich die Klappe haltet,« maulte Aaron zurück.

Immer das Gleiche. Die Legende von seinem Scimitar Runenfuchs, mit dem er einst einem mächtigen Hexenmeister seine verkommene Seele aus der Brust geschält haben soll, war immer noch in Umlauf. Und es war Parcivals Schuld. Er wusste, dass es nicht der Wahrheit entsprach, als er amüsiert einen Schluck aus seinem Trinkhorn nahm und Aaron dabei anfunkelte. Der hatte den Hexer einfach nur aufgeschlitzt und ihm sein Herz herausgerissen. Was die Grünspäne aber herzlich wenig interessierte. Sie johlten und jubelten, als ihr Kriegsfürst ihrem wenig formellen Antrag nachgab. Das schränkte seine zweite Wahl ziemlich ein.

Runenfuchs war für einen Säbel recht groß. Des Generals Zweihandschwerter fielen damit schon mal weg. Blieb noch ein Dolch oder das Rapier. Und wieder schnatterten ihm die Welpen dazwischen.

»Sanguinar! Nehmt Sanguinar!«

Er schnaubte, ließ er sich doch nur von einer gern unter Druck setzen und der wollte er heute Nacht konsequent fernbleiben. Mürrisch griff er nach Sanguinar. Das Espada lag leicht in der Hand und war außerdem sehr schmal und wendig. Trotzdem ging ihm dieser Knabenchor im Hintergrund allmählich auf die Kette.

»Klappe halten, hab ich gesagt!«

Launisch spuckte er auf den Boden, während er die vorwitzigen Welplinge da oben mit einem flammenden Blick fixierte. Erst, als sie keckernd verstummten, ging er mit beiden Klingen in der Hand auf die Arena zu. Dicht gefolgt von dem juvenilen Herausforderer, der den Mund diese Nacht definitiv etwas zu voll genommen hatte.

Die tumultartigen Szenen in der Arena fanden schnell ein Ende, als Pracival in sein Kriegshorn blies. Die primitive Metzeltruppe zerstreute sich nur widerwillig und wölfisch knurrend. Ihr Rückzug offenbarte ein blutiges Areal in der Mitte der Grube, in dem ein völlig entkräfteter und übel zugerichteter Neuling lag. Seine Oberarme, sein Rücken, ach was, sein ganzer Körper war von mächtigen Prankenhieben aufschnitten und völlig entstellt. Sein blutüberströmter Kopf sah wie ein lädierter Kürbis aus. Ein Auge mächtig angeschwollen, das andere hing halb aus seiner Augenhöhle heraus. Zwei Schlichter schleiften das, was von dem Kerl noch übrig war, vom Ring.

Der Hüne stapfte hinter Aaron ins Kampfrundell. Ihn suspekt musternd rammte der Herausforderer sein Breitschwert neben sich in den sandigen Boden hinter der Seitenlinie, während Parcival das tat, was er am besten konnte. Er stellte sich demonstrativ neben den Fleck, an dem zuvor noch der arme Teufel gekauert hatte und räumte mit dem Fuß einen verlorenen Finger aus dem Weg. Dann blickte er ringsumher, von den Lagerfeuern bis hinauf zur Tribüne.

»So, ihr Flachpfeifen! Nachdem wir uns nun wie jedes Jahr die mieseste Auswahl an blutigen Anfängern im Zweikampf ansehen durften, hab‘ ich zur Abwechslung mal was mit etwas mehr Talent für euch! Unser Lord General persönlich gibt sich nach fast zehn Jahren mal wieder die Ehre und hat auch gleich ne Trainingsattrappe mitgebracht!«

Das Gelächter war groß. Nur einer fand es nicht witzig. Der junge Riese, der Aaron herausgefordert hatte, fühlte sich gedemütigt. Aber anstatt wie ein Kleinkind zu heulen, trieb ihn die Rage. Er riss sein augenscheinlich recht klobiges Breitschwert aus dem Grund und stieß einen Kampfschrei aus.

Die Ehrengarde hatte inzwischen ihr mobiles Drachengeschwader versorgt. Mit Nachdruck schmissen sie die Halbstarken raus, die sich auf ihren Tribünen-Stammplätzen breit gemacht hatten. Sie kamen immer erst gegen Mitternacht, nachdem sich die Anfänger ausgetobt hatten. Zumindest daran hatte sich seit Aarons Jugend offenbar nichts geändert. Er sah zu ihnen nach oben und nickte ihnen zu. Die meisten von ihnen kannte er noch als seine Lehrmeister. Sie waren gerade wie in jeder Blutmondnacht von ihrem Rundflug über die Außengrenzen Rayans zurückgekehrt. Es war ihre Aufgabe, sicher zu stellen, dass keiner der vom Blutrausch Getriebenen zu nah an die Waldgrenzen des Nachbarreiches Nemesava geriet. So wollte es der Pakt der beiden Schwesterreiche. Zum Glück hielten sich die meisten freiwillig vom Grenzgebiet fern. Die Nachtläufer Nemesavas sorgten dafür. Der gesamte Waldrand war übersät mit ihren Bannrunen, die ungebetene Gäste qualvoll einkerkerten. Sie gaben die gefangenen Seelen erst wieder frei, wenn diese entweder freigesprochen oder tot waren. Das machte die Arbeit der Ehrengarde deutlich einfacher. Dennoch war der Flug kein Spaziergang. Die Luft in Flughöhe war kalt, das Wetter nicht immer angenehm und die Flugreptilien bei Vollmond nicht weniger launisch als die Gardisten. Drachen wie Drachenreiter hatten unter dem lunaren Naturphänomen mit ihrer Hybris zu kämpfen. Zu einem guten Kampf und bei reichlich Alkohol gemeinsam den Feierabend zu begehen, stand ihnen darum mehr als zu.

Sie hoben für Aaron ihre Hörner zum Gruß. Eine Ehre, selbst für ihn. Sich dessen bewusst, nahm er die Lockerungsübungen und rituellen Kampfzeremonien, die sie ihn gelehrt hatten, umso ernster. Ein formelles Salutieren in ihre Richtung, dann wandte er sich dem vorlauten Herausforderer zu.

»Also dann, du Berg von einem Blödmann. Dann wollen wir mal sehen, ob du zum Bluttrinker taugst.«

Der General schwang Runenfuchs einmal um die eigene Achse, musste er doch erst wieder ein Gefühl für die Führung des Säbels bekommen. Die breite, geschwungene Klinge war aus feinstem Damast gefertigt. Der Griff war mit rotem Leinenstoff umwickelt, was Schwielen an den Händen ziemlich gut vorbeugte. Ganz im Gegensatz zu Sanguinar. Dessen Griffholz aus dunkler Kirsche rieb je nach Intensität des Kampfes mehr oder weniger in der Handfläche. Ein Dolch wäre ihm lieber gewesen. Aber was tut man nicht alles für die Fangemeinde auf den billigen Plätzen.

Der Riesenwelpe verlor wenig Zeit. Sein Breitschwert fest umklammert, setzte er mit einem weiteren Kampfschrei unverzüglich zum Schlag an.  Der erste Fehler eines jeden Anfängers. Sein offener Angriff lief ins Leere. Es bereitete Aaron nur wenig Mühe, geschickt um die auf ihn zuschnellende Schwertklinge herumzutanzen. Und während der Schwertträger noch damit rang, die Balance nach seiner Spurtattacke aufrecht zu erhalten, setzte der General bereits zum Gegenangriff an.

Runenfuchs tat, wofür es berühmt berüchtigt war. Ein rascher, bissiger Streich auf Hüfthöhe des Hünen gab diesem einen ersten Vorgeschmack auf die Konsequenzen behäbiger Beinarbeit im Kampf. Der Riese knurrte zornig, verbot sich aber jedweden Schmerzschrei. Hastig stolperte er vorwärts und schlug den Arm vor seine Lende, um die offene Schnittwunde vor übermäßigem Blutverlust zu schützen. Von einem weiteren lebensmüden Angriff hielt ihn die Wunde jedoch nicht ab. Im Gegenteil, stürmte er wutentbrannt gleich ein weiteres Mal auf Aaron zu, als hätte er nichts gelernt.

Abermals wich der General seinem Angriff flink aus, ihm diesmal einen Tritt in den Allerwertesten mit vorwärts auf seinen Stolperpfad gebend.

»War das schon alles? Ein bisschen mehr hätt‘ ich schon erwartet, Junge,« schnarrte der er, sichtlich enttäuscht über die bisherige Darbietung des Burschen.

Wenn es nicht die Kriegstrommeln der Arena waren, die den Neuling in einen zornigen Blutrausch versetzten, dann gewiss diese herablassende Art. Vielleicht war es auch der Met oder der Wein. Beides genoss er am Nachmittag zuvor schon reichlich. Ein Wunder, dass er sein Schwert in diesem Zustand überhaupt noch halten, geschweige denn ein Duell austragen konnte. Nun, letzteres tat er bei aller Liebe nicht besonders professionell. Der Berserker in ihm war stark, aber eben nicht besonders klug. Trotzdem wohnte sein Vorgesetzter seiner animalischen Transformation mit der nötigen Umsicht bei, als sie sich schon kurz nach Kampfbeginn anbahnte.

Die Wut darüber, dass er von dem General regelrecht vorgeführt wurde, ließ das Tier in dem Anfänger nur noch schneller hervor brechen. Es fehlte ihm sichtbar an Unterweisung im Umgang mit dieser bestialischen Seite, die jedem Rayonaigh zu eigen war.

Mit wilden Augen riss er seinen Kopf zu Aaron um, seine Fänge in blinder Tobsucht entblößend. Ganz schön bullig war er in diesem Zustand, das musste man ihm lassen. Auf einen rayanischen Vorort losgelassen, hätte er ihn ohne Zweifel aufgemischt. Er hätte den Raji‘Draq alle Ehre gemacht, wenn er nur die nötige Beherrschung aufgebracht hätte, seine Triebe und diesen pubertären Drang, sich zu beweisen, zu zügeln. So aber würde er sich erfolglos an einem Bestiendompteur abreagieren, der schon größere Klötze zurecht gestutzt hatte.

Er mutete an wie ein tobsüchtiges Kleinkind, das schreiend und um sich schlagend auf nichts weiter zuarbeitete, als sich über alle Maßen zu verausgaben. Mit jedem vergeblichen Angriff tobte er nur noch mehr und seine Gestalt nahm dabei immer monströsere Ausmaße an. Zuerst wurden seine Augenbrauen buschiger, dann sein Bart und die Wangenbehaarung, und schließlich, nach dem sechsten oder siebten Fehlversuch, seine gesamte Oberkörperbehaarung. Der Knabe hatte die erste Stufe der rayonaigh’schen Metamorphose abgeschlossen – den Blutfuchs. Insgeheim hatte Aaron gehofft, er bekäme es endlich mal wieder mit einem Drachenblut zu tun, aber volle Potential von Arayonas Erbe hatten bislang die wenigsten gemeistert. Die Transformation erforderte ungeahnte Kräfte, deren Bedarf exponentiell anstieg, je höher die animalischen Formen des Gestaltwandels wurden. Und der Bursche schien jetzt schon relativ überfordert damit. Nachsicht würde Aaron dennoch keine zeigen.

Die Bestie setzte zum Sprung an. Das Schwert noch immer in den Klauen, wuchtete der junge Blutfuchs es aus großer Höhe auf seinen Kontrahenten herab. Mit einem ohrenbetäubenden Geschrei ließ er die Klinge auf dem Grund der Arena einschlagen und spaltete dabei mehrere Pflastersteine entzwei. Auf seinen Sprungstich ließ er einen nicht minder wuchtigen Seitenhieb folgen, in der Hoffnung, den Lord General mit seinem Feger gnadenlos aus dem Weg zu räumen. Der aber sprang vorausschauend zurück anstatt zur Seite, was ihm die Gelegenheit verschaffte, die Schulter des monströsen Welpen mit einem gezielten Schlag durch Sanguinars Klinge bekannt zu machen. Ein qualvolles Jaulen schallte durch die Arena, begleitet von einem mitfiebernden Raunen aus der Zuschauermenge. Dann aber wurde es still. Der hatte gesessen. Die Wunden mochten im Zuge des Gestaltwandels schneller verheilen, aber schmerzhaft waren sie dennoch.

Der Anführer der Bluttrinker kannte keine Gnade. Seine Lektion war für den Halbstarken nur schwer zu ertragen, als er ein ums andere Mal versuchte, dem kampferprobten Raji’Draq auf brachiale Weise eine Kerbe zuzufügen und dafür jedes Mal mit einem weiteren tiefen Schnitt in sein Fleisch belohnt wurde.

»Komm zur Vernunft, Junge.« Die Augen des Generals leuchteten siedend rot unter dem Blutmond, während er den Tölpel, der sich da gerade selbst zum Gelächter der Arena machte, observierte. Er wollte sich gerade für die nächste Verzweiflungstat des Welpen bereit machen, als eine ihm nur allzu vertraute Stimme durch die verstummten Reihen der Schaulustigen schnitt.

»Findest du nicht, dass du für solche Geplänkel allmählich etwas zu alt wirst, werter Vetter?«

Aaron erstarrte für einen Moment. Dann wanderte sein Blick im Affekt von dem Blutfuchs hinüber in die Zuschauermenge. Die aber starrte ihn weiter an, oder besser gesagt, hinter ihn, wo eine recht bekannte lokale Legende lässig an einem der Steinbögen lehnte, die den Arenagrund der Draq’enar umgaben. Noch eine Gestalt, die man hier heute Nacht eher weniger erwartet hatte.

»A…rajon?« Der General war gerade Inbegriff, sich nach dem Störenfried umzusehen. Eine äußerst unbedachte Reaktion, denn der Welpe, den er gerade mit blutigen Hieben zurechtwies, war noch lange nicht fertig. Seine Chance in der Ablenkung sehend, hetzte er erneut auf den Raji’Draq zu und hätte ihn ob dessen Unachtsamkeit wohl ernsthaft verletzen können, wenn er nicht die ausgebufften Reflexe hätte, die ihm schon so oft den Hintern gerettet haben. Einen leichten Glücksstreich mit dem Breitschwert des felligen Kolosses bekam er dennoch ab. Tief genug, um Aarons Wangenfleisch der Länge nach aufzuschlitzen. Frech genug, als dass er die Beherrschung verlor.

Der Raji’Draq ließ seine Waffen fallen und fasste sich perplex an die Wange, als sie anfing, sonderlich zu pulsieren und seinen Mund mit dem Geschmack von flüssigem Eisen zu füllen. Als er die Hand wieder von der klaffenden Wunde zog, sah er buchstäblich nur noch rot. Die blutige Handfläche vor seinen Augen schien sich zu verformen. Zuerst war es nur ein Zittern, dann ein immer eindringlicheres Beben, bis schließlich scharfe Klauen aus seinen Fingerspitzen hervorbrachen.

Aaron versuchte noch, die Verwandlung aufzuhalten. Doch der todessüchtige Welpe wollte anders. Sich siegessicher wähnend, sann er darauf ab, seinem Treffer noch einen zweiten nachzusetzen. Als er sich dem Raji’Draq mit weit zum Schlag ausgeholten Arm näherte, spürte er jedoch schon die Pranke einer anderen Fuchsbestie um seine Kehle. Sie packte nicht einfach nur zu, sondern grub ihre Klauen tief in das Nackenfleisch des Möchtegernschlächters. Dann tat es einen kräftigen Ruck und der Blutfuchs wurde im hohen Bogen ans andere Ende des Kampfplatzes geschleudert.

Auf den Stehplätzen der Draq’enar tobten die Jungspunde gewaltversessen. Nun würde der Bursche einen wahren Kampf unter Blutfüchsen erleben. An der Seitenlinie wurden Parcival und Peroy unruhig. Nicht etwa, weil sie um das Wohlergehen ihres Kampfbruders fürchteten, sondern um seine Selbstkontrolle. Die Furcht war berechtigt. Eine flammende Aura bemächtigte sich ihres Freundes, als er wie ein Kanonengeschoss der Flugbahn seines Opfers hinterher schnellte. Seine rubinroten Iriden sahen nur noch Beute vor sich. Und noch bevor diese  den Boden küssen konnte, schlug er dem Kerl mit voller Wucht den Kiefer ein.

Der Novize wusste nicht mehr wie ihm geschah. Unsanft klatschte er auf das Kopfsteinpflaster, wo ein gleich noch ein zweiter Faustschlag von oben ereilte.  Er spuckte Blut, und das nicht zu knapp – noch mehr davon, als er in Panik versuchte, zur Seite wegzurollen. Über ihm türmte sich unterdes ein bedrohlicher Schatten auf.

»Na sieh einer an. Blut trinkst du ja schon ganz gut.« Aarons Stimme klang längst nicht mehr so vernunftgeleitet wie zuvor. Ein sonderlicher Hauch von Wahnsinn lag darin, der beim Sprechen nur durch ein ungeduldiges Knurren unterbrochen wurde.

»Verdammte Scheisse.« Parcival pfefferte sein Trinkhorn auf den Boden. Er war drauf und dran, den Ring zu betreten und den Kampf abzubrechen. Peroys Hand jedoch griff ihn am Oberarm und hielt ihn zurück.

»Bist du lebensmüde?!«

Ihr Anführer hatte die Transformation noch nicht einmal vollständig abgeschlossen und schon jetzt ließ sich sein Blutdurst kaum mehr stoppen. Das letzte Mal, als es so weit kam, brauchte es drei Männer, um einen geprellten Bock aus seinem Kehlenbiss zu befreien. Der Dreckskerl hatte Aarons Frau Adra im Suff als dreckige Hure beschimpft, aus Frust darüber, dass sie ihm einen Korb gegeben hatte. Danach fand der Junggesellenabend ein jähes Ende.

Vorwurfsvoll und hilfesuchend zugleich schielten Parcival und Peroy zu dem Mann, der damals mitgeholfen hatte, seinen Vetter von einem Ehrenmord abzuhalten. Wie konnte Arajon bei einem Kampf bis aufs Blut nur so dazwischen funken und ihn entgleisen lassen, wenn er wusste wozu sein Cousin in Rage fähig war? Und nun stand er da, seelenruhig, und ließ der Situation freien Lauf.

Arajon rollte mit den Augen. Er wusste ziemlich genau, wie das enden würde – mit oder ohne sein Zutun. Hätte wahrscheinlich noch ein paar mehr abgeschlachtete Lämmer im Ring gebraucht, aber Aaron hätte den Siedepunkt erreicht, auf die ein oder andere Art und Weise. Nach dem letzten Zwischenfall hatte er eigentlich gehofft, sein Cousin wäre einen Ticken weiser geworden. Alkohol, Sehnsucht und der Blutmond waren keine gute Kombination, um in der in den Kampfring zu steigen. Er hatte Glück, dass Arajon überhaupt in der Stadt war. In professioneller Verstohlenheit war der Kommandant der Blutklingen seinem Vetter unauffällig durch die nächtlichen Schatten hinauf zur Draq’enar gefolgt. Seine beiden Claymores hatte er zuhause gelassen. Doch seine Betäubungspfeile und sein Blasrohr steckten wie immer zuverlässig in seiner Jackentasche. Beides zückte er ob der eindringlichen Blicke seiner alten Schulkameraden dann auch endlich.

Keine Sekunde zu spät, denn Aaron würde sich ansonsten noch daran machen, den armen Kerl vor ihm auf dem Boden auszuweiden. Die Pranke zum Hieb in des Novizen Magengrube angespannt, wollte er bereits ausholen. Ehe er seine Meucheltat aber vollenden konnte, spürte er ein stechendes Geschoss in seinem Nacken. Aufgeschreckt und wutentbrannt sah er sich nach dem Schützen um. Der Übeltäter gab nun doch seinen Ausguck hinter den Zuschauerreihen auf und schlenderte unbeeindruckt die Steintreppen zum Kampfring hinab. Das letzte, was Aaron zu sehen bekam, war eine Menge, die einen Korridor für den gefürchteten Klingenmeister machte. Dann verschwamm ihm die Sicht und er sackte neben dem halb tot geprügelten Initianten in sich zusammen.

»Dass man dir aber auch wirklich immer den Arsch retten muss,« murmelte Arajon vor sich hin, als er neben Aaron zum Stehen kam. Für einen Moment betrachtete er seinen Cousin. Die zwei Blondschöpfe sahen sich nach all der Zeit immer noch zum Verwechseln ähnlich, mit dem Unterschied, dass Arajon die Dinge in der Regel mit deutlich mehr Gelassenheit anging und seine Mähne wesentlich gepflegter aussah. Die obere Haarpartie glatt gestriegelt und zum straffen Zopf eines Schwertmeisters zusammengebunden und den Kampfrock wie es sich gehört mit dem adäquaten Uniformhemd der Raji’Draq gepaart, kam seine Gestalt einem alten Einsiedler gleich, der auf irgendeiner Bergkuppe mit strengen Weisheiten um sich warf. Jetzt gerade aber wurde seine gleißende Erscheinung durch das nach Luft japsende Geräusch einer fast am eigenen Blut erstickenden Kreatur sichtlich getrübt.

»Das reicht jetzt du Bengel,« sprach er tonlos hinab zu dem gepeinigten Anwärter seines Cousins, der unter völliger Entkräftung leidend allmählich seine bestialische Erscheinung einbüßte. »Lass dich von Heilern zusammenflicken und bete, dass du in ein paar Tagen wieder einsatzfähig bist.«

Das war Parcivals Stichwort. Erleichtert seufzend wuselte er wie ein Schneegestöber mit wedelnden Armen zu Arajon und den beiden Scheinleichen in den Ring.

»Als gut Leute, ihr hattet Euren Spaß,« verkündete er lautstark. »Jetzt ist Zapfenstreich! Geht euch im Wald oder sonst wo noch ein bisschen gegenseitig vermöbeln.«

Bei den Zuschauern kamen seine Scherze nicht so gut an. Sie waren alles andere als begeistert ob der Unterbrechung.

»Öyyy, was soll das!«

»Buuuh!«

»SCHIEBUNG!«

»Wir sind hier nicht beim Familientreff!«

Das Publikum fand klare Worte für den vorzeitigen Abbruch des Kampfes.

»Das hast du ja prächtig hinbekommen,« raunte Parcival Arajon mürrisch zu. Der musste sichtlich entnervt erst mal tief einatmen, bevor er sich persönlich an das Publikum wandte.

»Jetzt passt mal auf hier, ja?! Das ist immer noch MEINE Arena! Wenn ihr ein Problem habt, dann kommt runter und ich zieh jedem von euch den Scheitel mit ’ner nach!«

Da war sie wieder, die unverkennbare Blutverwandtschaft zwischen zwei Raji’Draq, deren Gebrüll man stets am lautesten zu hören bekam, wann immer sie irgendwo zugegen waren. Die Menge ließ sich davon aber schon längst nicht mehr einschüchtern.

»Scheisse, Mann!«

»Es ist Blutmond!«

»Warum musst du uns immer dazwischen funken!«

Sie verhielten sich wie Kleinkinder.

»Jaja, Asche auf mein Haupt. Kommt mal runter, Mädels!« Provokant wie immer wiegelte Arajon die Menge auf. Der schwer verletzte Hüne hatte unterdes wahrhaft genug und kroch im Hintergrund stillschweigend vom Ort des Geschehens.

»Kann ja keiner ahnen, dass ihr so versessen auf mittelmäßige Kämpfe seid!«

Wie sein Vetter war der Kommandant der Blutklingen um kein Wort verlegen, fand aber deutlich mehr Gefallen daran, seine Audienz auf die Palme zu bringen.

»Dann mach dich nützlich, Mann!« brüllte ein viel zu gut mit Schnapps versorgter Ehrengardist von der Tribüne. Der Rest der Meute pflichtete ihm unter lautem Grölen bei. Selbst Peroy und Parcival beteiligten sich feixend an dem theatralischen Aufstand. Arajon seufzte.

»Fein! Die nächste Runde im Goldenen Fasan geht auf mich!«

Nach diesen Worten war ihm der Applaus sicher. Gratis-Met war immer willkommen. Männer, die kein Amt bei der Ehrengarde oder das eines hochrangigen Offiziers bekleideten, waren in Rubinstadt für gewöhnlich knapp bei Kasse. Das traf hier wohl auf den Großteil der Versammelten zu.

Während sich die johlende Menge wie eine lebhafte Lawine auf zum Ausgang machte, sammelte Arajon die Waffen seines Blutsbruders vom Boden auf – natürlich vortrefflich begleitet durch Randkommentare von den beiden Arenawärtern.

»Da hast du ja noch mal Glück gehabt, dass sich selbst die blutrünstigsten aller Schaulustigen mit Alkohol abspeisen lassen,« keckerte Parcival.

»Und du hast Glück, dass unsere Mütter gut befreundet sind!« Arajons Keifen klang unüberhörbar angefressenen. »Für was habe ich euch beide eigentlich eingestellt, wenn ihr die Draq’enar regelmäßig in ein Schlachthaus verwandelt?«

Parcival schluckte schwer.

»Ach komm, Arajon,« zwitscherte Peroy dazwischen. »Tu nicht so, als ob du nicht schon selber manchen Großkotz hier zerlegt hättest.«

Der Kommandant wusste, dass sein Leutnant ausnahmsweise mal die Wahrheit sprach und deshalb schwieg er. Den Respekt, den ihm die Soldaten zollten, kam nicht von ungefähr. Er war hart erstritten. In Waldkämpfen, Turnierduellen, Tavernenstreitigkeiten und all den anderen Auseinandersetzungen, die Männer beim Kräftemessen eben so austragen. Doch gerade deshalb, weil ihm ein gewisser Ruf voraus eilte und er sich inzwischen einer gewissen Vorbildfunktion verpflichtet fühlte, wollte er mit gutem Beispiel für die Neulinge voran gehen. 

»Nun helft mir schon, diesen Berserker hier in den Palast zu bringen.«

Gemeinsam schulterten sie den sedierten Blutfuchs-Alpha, der dank betäubtem Zustand wieder eine manierlichere und vor allem leichter zu transportierende Gestalt angenommen hatte. Auf dem Weg von der Draq’enar hinunter in die Stadt durfte sich der geplagte Kommandant dann noch einmal ausführlich all seine und Aarons Schelmereien anhören, die Parcival und Peroy offenbar akribisch dokumentierten, seit sie alle vier ihre Ausbildung in den Hallen der Raji’Draq begonnen hatten. Die Geschichten heiterten Arajons Gemüt sichtlich auf. Das, obwohl ihm dieser Tage mehr als nur eine Sorge durch den Kopf ging. Es gab Gründe, deretwegen er am Vorabend auf der Suche nach Aaron gewesen war. In diesem Zustand aber war mit ihm kaum zu reden. Und so mussten die dringlichen Angelegenheiten warten, bis der gnädige Herr der Drachenzinne seinen Blutrausch ausgeschlafen hatte.


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